Im Zug

Diese Geschichte ist jene eines Hoffenden, eines Menschen, der danach strebte, seine Träume zu bewahren und zu leben. Er war 29 Jahre alt, und bis vor Kurzem war sein Leben wie auf Schienen ver­laufen: Berufs­bildende Schule mit Matura, Präsenz­dienst, der erste Job. Alles hatte sich ohne viel Zutun ergeben. Das war ihm nach ein paar Jahren zu wenig geworden. Er wollte weg von zu Hause, weit weg, auf eigenen Beinen stehen und sein Leben leben. So hatte er ein Studium begonnen und vor wenigen Wochen abgeschlossen.

In den letzten Jahren hatte sich einiges geän­dert. Zunächst er selbst: Seine Ver­gangen­heit hatte ihn etwas rampo­niert. Aber wer kam ohne Kratzer und Dellen durchs Leben? Dann sein Umfeld: Dieses Mal ergaben sich die Dinge nicht mehr einfach so. Nun suchte er seine Zukunft.

Er hoffte, dass diese sich wie ein Kind in seiner Nähe ver­steckte und dort unge­duldig auf ihn wartete. Viel­leicht liefe sie ihm sogar mit weit offenen Armen ent­gegen, sodass er sie erst gar nicht lange suchen musste. So geisterte es ihm in den opti­mistischen Momenten durch den Kopf. Mit dem Studium war ein Lebens­abschnitt zu Ende gegangen, den er — obwohl von chroni­schem Geld­mangel geprägt und gerade erst vor­über — bereits zu vermissen begann. Während jener Zeit hatte er Menschen aus den unter­schied­lichsten Erd­teilen kennen gelernt: Afrikaner, Russen, Amerikaner und viele Europäer mit unter­schied­lichsten Mutter­sprachen. Mit vielen hatte ihn damals die Lebens­situation, Neugierde und Offen­heit ver­bunden, mit einigen wenigen verband ihn nun Freundschaft.

Manche seiner Bekannten waren ver­richteter Dinge nach Hause ge­fahren. Andere hatten nach einigen Semestern der immer pene­tranter werdenden Über­wachung durch den Staat nicht mehr genügt. Er erinnerte sich ganz konkret an ein Mädchen, das er bewun­derte, weil es seine Mutter­sprache in zwei Jahren ohne irgend­welche Vor­kennt­nisse derart gediegen zu lernen vermocht hatte, dass sie fähig war, sich in jeder Situation ver­ständ­lich zu machen. Von ihren Grammatik­kenntnissen konnte sich mancher Inländer ein Scheibchen ab­schnei­den. Nun gab es leider an der Uni in beinahe jedem Fach Auslese­prüfungen, um die Studenten­zahl zu ver­ringern. Wer selbst studiert hat, weiß, dass es nicht nur das Wissen ist, das über die Noten an der Uni ent­scheidet. Die Art, wie viele Prü­fungen abge­halten werden — da gab es reich­lich Platz für Willkür. ...

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